by Passenger B, 2003 (age 21)
Homework assignment for German class at Library School, Grade A-
“Schreibe eine kontemporäre Geschichte über zwischenmenschliche Beziehung.”
[The German word “gehörnt” in this context means someone who was cheated on by their spouse, which makes little sense in English and takes away from the entire point and prose of the story in another language]
Herr Sibylle war eines Morgens aufgewacht, wie jeden anderen Morgen sonst auch, und hatte sich merkwürdig gefühlt.
Zunächst hatte er eine kräftige, kalte Dusche genommen. Danach hatte er sich ordentlich angekleidet und war die mit beige Teppich ausgekleideten Stufen zur Küche hinuntergestiegen, um sich einen Toast mit Marmelade zu machen. Er hatte vorzüglich geschmeckt, doch war das merkwürdige Gefühl nicht vergangen.
Draußen auf der Straße dann, hatte er sich sehr gewundert. Als er die erste Frau mit Hörnern auf ihrem Kopf erblickte, dachte er noch an eine Ausnahme. Da es Sommer war, konnte es sich nicht um Fasching handeln, und ihm fiel auch beileibe kein anderes, ähnlich begangenes Fest ein, welches im Sommer stattfinden würde.
Die Stadt, in der Herr Sibylle lebte, besaß zwar ein kleines Theater, jedoch behandelte es ausschließlich die wahrhaft schöne Literatur, wie er es zu nennen pflegte. Schiller’s ‘Räuber’ oder Moliéres ‘Der eingebildete Kranke’ hatte er selbst mit seiner Frau im letzten Jahr gesehen. Dazu fiel ihm noch Shakespeare’s ‘Ein Sommernachtstraum’ ein, indem ja tatsächlich einige gehörnte Satyre und Faune über die Bühne sprangen.
‘Soso,’ dachte Herr Sibylle bei sich, ‘das wird es wohl sein.’
Es war natürlich eine lächerliche Überlegung, denn warum sollte wohl die vermeintliche Schauspielerin ihr Kostüm vor der Arbeit anziehen? Sie war ja auch gar nicht kostümiert gewesen, sondern hatte ganz gewöhnliche Arbeitskleidung getragen, wie sie in jedem beliebigen Büro zu finden ist. Nur Hörner hatten sie aufgehabt.
Als er dann ein paar Straßen weiter einen gehörten Mann erblickte, wunderte sich Herr Sibylle noch mehr. Nein, nun konnte er nicht mehr an Shakespeare glauben, zumal ihm einfiel, daß das Theater Sommerpause hatte. Es mußte etwas anderes sein.
An der Bushaltestelle fielen ihm beinahe die Augen aus dem Kopf. Er starrte von Mensch zu Mensch und wippte ein bißchen auf den Füßen auf und ab, wie um einen plötzlichen Spurt vorzubereiten, und sagte leise
“Nein, nein, na sowas. So etwas, also…”
Es gab an dem Morgen wenige, die keine Hörner hatten. Zutiefst verunsichert spekulierte er über eine Sekte oder einen symbolischen Gewerkschaftsstreit, doch schienen ihm selbst diese Theorien in höchstem Maße abstrus. Zu fragen traute er sich auch nicht. Wer Hörner trägt, mußte schon irgendwie ein seltsamer Mensch sein, ja, vielleicht sogar gewalttätig, überlegte Herr Sibylle.
“Ein Glück,” meinte er zu sich im Stillen, ‘daß ich in einem normalen Büro arbeite. Dort ist so eine Verrücktheit schlicht undenkbar. Nein, also…nein, wirklich. Gehörnte Bankangestellte, man sei sich nur über die Konsequenzen bewußt…’
Doch an seinem Arbeitsplatz erwartete ihn bereits die nächste Überraschung.
Auch dort lief ein Gros voll gehörnter herum! Immer noch zog er es vor, zu schweigen und niemanden auf diese Unmöglichkeit anzusprechen. Die Bank öffnete ja noch nicht, und vielleicht würden seine Kollegen die Hörner bevor die ersten Kunden eintrafen wieder abgenommen haben.
Doch nach der Dienstbesprechung, eingebettet in ein tägliches Kollegenfrühstück, machten sich die Mitarbeiter daran, sich auf die Öffnung vorzubereiten und trugen immer noch die ärgerlichen Hörner!
Herr Sibylle zählte sich nicht zu den Menschen, die andere diskreditierten, doch zog er es ernsthaft in Erwägung, seinem Chef, der nun bald eintreffen müßte, auf diese Ungeheuerlichkeit anzusprechen. Er malte sich in seinem Kopf einen Dialog aus und merkte sich als Argumentationshilfe einige Schlüsselbegriffe wie “Ablenkung bei Geldzählung”, “servicetechnisch undenkbar” und “wir bedienen sicher auch Menschen aus Forst- und Jägerberufen,” was sicherlich eine undenkbare Provokation darstellen würde.
So machte er sich auf den Weg in den zweiten Stock, um die Sekretärin um ein dringendes, persönliches Gespräch mit dem Chef zu bitten.
“Aber vor der Öffnung, es eilt!” sagte er zu der jungen Dame, deren Hörner so gar nicht mit ihrer eleganten Garderobe harmonieren wollten. Als er sich wieder nach unten an seinen Arbeitsplatz begeben wollte, konnte er jedoch nicht mehr an sich halten, drehte sich um und sagte zu der Sekretärin,
“Sie sollten das da,” und dabei machte er eine unbestimmte Kreisbewegung über seinem eigenen Kopf, “bevor der Chef kommt, vielleicht in Ordnung bringen.” Er meinte es ja nur gut. Irritiert blickte ihm die Sekretärin nach und schüttelte verlegen den Kopf.
Der Chef, so erfuhr Herr Sibylle nach ein paar Minuten telephonisch von der Sekretärin, hatte aus dem Stau angerufen, verspätete sich heute. Er würde nicht rechtzeitig vor der Öffnungszeit kommen können.
“Ja, ich werde es wohl selbst in die Hand nehmen müssen,” seufzte Herr Sibylle zu sich selbst und beruhigte sich damit, daß er es zum besten des Betriebes tun würde. Vielleicht wäre ihm der Chef noch so dankbar, daß er ihn glatt befördern würde. Wer weiß, sowas soll es ja schon gegeben haben. Aber dann war er sich doch unsicher, wie anfangen. Sollte er von Kollege zu Kollege gehen und jeden einzeln ansprechen? Nein, also, nein, das kostete doch viel zu viel Zeit. Bis zur Öffnung waren es nunmehr zehn Minuten. Könnte er sich vielleicht in die Mitte des Kundenbereichs stellen und eine laut vernehmliche Aussage machen? Aber auch das wäre doch zu dumm, seine Mitarbeiter so in ihrer Ganzheit voreinander bloßzustellen. Ein Memo! Das war es! Sie alle hatten ja die Pflicht, fünf Minuten vor Öffnung noch einmal das Memo des Tages durchzulesen. Ja, das, so fand Herr Sibylle, war eine wahrlich gute Idee, die das Problem indiskret ansprechen würde.
Doch anstatt daß sie ihre Hörner abnahmen, kicherten einige Kollegen und nickten ihm erheitert zu, nachdem das Memo für allemann sichtbar auf dem Bildschirm erschienen war. Einige wiegten auch unangenehm berührt ihre behornten Köpfe oder sahen ihn aus verengten Augen an. Herr Sibylle war mit seiner Weisheit am Ende angelangt. Was konnte er denn bloß noch tun!? Die Bank wurde bereits aufgeschlossen! Und herein kamen…gehörnte Kunden. Wie gesagt trugen nicht alle diesen animalischen Kopfschmuck, aber es war doch eine ungemeine Anzahl. Was in aller Welt war denn nur los heute Morgen?!
‘Der Chef wird es ja sehen. Ich habe das Memo deutlich sichtbar für alle ins Intranet gestellt. Ich,’ so entschied Herr Sibylle bestimmt, ‘habe alles in meiner Macht stehende getan, jawohl.’
Nun war er aufgrund einer Schulung in der Handhabung von Kunden und Krisenbewältigungen am Arbeitsplatz geschult, und er meinte sich vage zu erinnern, daß er nach einigen unfruchtbaren Versuchen zurückziehen sollte, um höherer Gewalt (sollte sie denn endlich eintreffen) die Auflösung dieser Situation zu überlassen. Er setzte ein professionelles Gesicht auf, zog seine Anzugsjacke glatt und machte sich auf zur Kasse. Dort setzte er sich in die gläserne Kabine, entfernte das “nicht besetzt” Schild und begrüßte den ersten Kunden. Er bediente seine Kunden auch mit Hörnern mit ausgesuchter Höflichkeit und wünschte ihnen einen schönen Tag.
Doch als eine ungehörnte Frau mittleren Alters plötzlich unter seiner Anleitung einen Überweisungsträger korrigierte, spielte sich unfaßbares ab. Ihre Haare teilten sich an zwei Stellen und etwas brach darunter hervor! Herr Sibylle zuckte unwillkürlich mit dem linken Auge und lehnte sich ein wenig weiter nach vorn, um zu beobachten, was dort geschah. Da! Hörnchen! Kleine winzige, die sich immer weiter herausdrängten und alsbald auf ihre volle, stattliche Größe gewachsen waren. Mit flauem Magen fertigte er die Dame so schnell es ging ab und stürzte aus der Kabine. Er vergaß sogar, abzuschließen.
Er floh die Treppe in den obersten Stock nach oben und lehnte sich kurzzeitig an die Wand, um seinem pochenden Herzen etwas Ruhe zu gönnen. Der Platz der Sekretärin war unbesetzt, deshalb klopfte er unangemeldet an die Tür seines Chefs, worauf ein erschrecktes “herein!” von innen tönte. Im Büro befand sich dann auch die Sekretärin, die vor dem Schreibtisch des Chefs stand, welcher lässig in seinem schwarzen Ledersessel thronte. Das Haar der Sekretärin war etwas verwuselt. ‘Sicherlich durch die grausigen Hörner’, dachte Herr Sibylle und bemerkte gar nicht, daß der Chef über ihr Geweih gar nicht stutzte. Daß auch sein Chef einer der Geweihträger war, wurde Herrn Sibylle erst klar, nachdem sich die Sekretärin entschuldigt und den Raum verlassen hatte.
“Sehr geehrter Herr Tulsen,” begann Herr Sibylle blumig, wie es seine Art war. “Ich weiß nicht, wie anfangen, sie entschuldigen!” Damit schwieg er einige Weile unter den spöttisch verwunderten Blicken seines Chefs. “Sie…ich bin doch etwas verwundert…vielleicht habe ich ein Memo übersehen…es mag die neuste Mode sein, ich weiß es wirklich nicht…aber…”
“Beruhigen sie sich doch erst einmal, Herr Sibylle, sie schwitzen ja vor Aufregung. Nehmen sie sich Zeit und sagen sie mir, was nicht stimmt.”
Nach einer Weile des Schweigens, entschied sich Herr Sibylle dafür, es einfach auf den Punkt zu bringen.
“Sehr geehrter Herr Tulsen,” begann er erneut, “Sie haben ein Geweih auf dem Kopf!”
Herr Tulsen schwieg und drehte sich anstatt einer Antwort ein wenig auf seinem Stuhl hin und her, welcher leise quietschte. Herr Tulsen sah besorgt aus.
“Herr Sibylle, wie lange hatten sie bis jetzt keinen Urlaub mehr? Sie haben oft Überstunden gemacht, ist es nicht so?”
“Nun, ja, das ist korrekt.” bestätigte Herr Sibylle nicht ohne Verwirrung. Was wollte denn der Chef jetzt nur mit den Überstunden? Also, so wie er die Lage sah, konnte er in Zeiten dieser Krise wohl kaum Urlaub nehmen, seinen Betrieb im Stich lassen.
“Alle anderen tragen auch Hörner, es ist mir ein Rätsel.” fügte er noch hinzu.
“Nehmen sie sich ein paar Tage Zeit. Ihre arme Frau wird sie wohl schon zu Hause vermissen,” lachte der Chef gekünstelt. “Wir können den Urlaubsantrag gleich anfertigen, auch wenn die Vorschriften besagen, daß er zwei Wochen vor Beginn der Ferien eingereicht werden sollte.” Der Chef wurde beim Gesichtsausdruck des Herrn Sibylle langsam ungehalten. Daß er sich immer so an die Regeln halten mußte! Doch hatte er sich schnell wieder im Griff und fuhr fort: “Sie haben uns gute Dienste geleistet, mir scheint, wir überfordern sie in letzter Zeit. Jeder braucht mal eine Pause.”
“Ich will doch gar keinen Urlaub!” klagt Herr Sibylle verzweifelt. Doch bevor er begreifen konnte, was geschehen war, stand er schon draußen auf der Straße vor der Bank zwischen all den Gehörnten und meinte, er sei wohl tatsächlich verrückt geworden. Vielleicht war es eine Sommergrippe. Er hatte ja seit heute morgen ein so merkwürdiges Gefühl gehabt. Herr Sibylle hielt nicht viel von Ärzten, daher fuhr er auf direktem Weg nach Hause, um sich dort von seiner Frau pflegen zu lassen. Sie müßte inzwischen aufgestanden sein.
Nachdem er die Haustür aufgeschlossen hatte, empfing ihn seine Frau nicht wie gewöhnlich. Das war nicht weiter verwunderlich, da er ja normalerweise erst in zehn Stunden nach Hause kommen sollte. Er hatte keine Zeit gehabt, seine Frau anzurufen, um ihr von den Geschehnissen des Morgens zu erzählen. Seine Frau war nicht in der Küche. Auch nicht in der Wäschekammer. Auch das Wohnzimmer war leer.
‘Sie ist einkaufen’, entschied Herr Sibylle und erklomm unter Schwindelanfällen die Treppe, da ihm ein schrecklicher Gedanke kam. ‘Wenn sie nur nicht zurückkommt und auch Hörner hat!’ überlegte er bestürzt. Im Badezimmer nahm er die Krawatte ab und legte sie sorgsam zusammen, öffnete den ersten Hemdknopf und spritzte sich ein wenig Wasser an Hals und Gesicht. Mit geschlossenen Augen tupfte er sich das kühle Naß vom Gesicht, als er mit einem Mal kleine Laute von nebenan aus dem Schlafzimmer hörte. Erschreckt blickte er hoch und horchte gegen die Wand. Das war doch seine Frau! Aber dann keuchte es tief, ganz synchron mit seiner Frau. Eine Welt brach für Herrn Sibylle zusammen. Das konnte nur eins bedeuten, das wurde ihm schmerzlich bewußt. Er wandte sich zur Tür, um ins Schlafzimmer zu gehen und das Spektakel mit eigenen Augen zu sehen. Dabei erhaschte er sein ungläubig gequältes Gesicht im Spiegel. Er war kein dummer Mann und so wurde ihm schlagartig klar, was es mit den Geschehnissen des heutigen Vormittags auf sich hatte und wie auch er daran beteiligt war.
Denn da waren, ganz klar unter all dem dichten dunkelbraunen Haar, zwei gigantische Hörner, die ihm selbst in höhnischen Bogen um den Kopf wuchsen. Still stand er vor dem Spiegel und vernahm noch hier und da die freudigen Laute seiner Frau von nebenan.